Für jeden was dabei
VERERBEN & STIFTEN 2022

Für jeden was dabei

Sie unterstützen erdnussfreie Kitas, retten Schlachttiere und fördern Fahrschüler. Stiftungen in Deutschland verfolgen vielfältige Zwecke. Manche sind durchaus unkonventionell

Mehr als 24 000 Stiftungen gibt es aktuell in Deutschland, allein im vergangenen Jahr wurden 863 neu gegründet – und damit so viele wie lange nicht mehr. Rund 90 Prozent davon sind gemeinnützig – und allen gemein ist, dass sie einen bestimmten Stiftungszweck verfolgen. Manchmal ist dieser Zweck ein ganz ungewöhnlicher.

Von Veronika Csizi

1 Mit Büchern Fantasie, Mut und Leselust bei Kindern fördern

Die Stiftung Selbst.Los! sieht kulturelle Teilhabe jedes Menschen als ein natürliches Recht, unabhängig von seinem Wohnort oder dem Inhalt seiner Geldbörse. So haben es sich die beiden Stifter Annelie und Wilfried Stascheit, ein Verlegerehepaar aus Mühlheim an der Ruhr, unter anderem zum Ziel gemacht, jedem der drei Millionen Kinder, die in Deutschland in Armut leben, ein eigenes Buch zu schenken. Bücher, so die Stifter, bedeuteten nicht nur Lesefähigkeit und Bildung, sondern auch Fantasie, Mut, Selbstbewusstsein. Gespendete Bücher werden von der Stiftung geprüft und dann vor allem über die Tafeln und andere gemeinnützige Organisationen verbreitet. Rund 1,3 Millionen Bücher hat die Stiftung damit bereits ans Kind gebracht, Schulranzen mit Lesefutter gefüllt und Kindergärten oder Grundschulen in einkommensschwachen Gegenden der Region mit Büchern ausgestattet. „Anders als vielfach befürchtet, haben wir gar keine Leseunlust festgestellt“, sagt Wilfried Stascheit. „Im Gegenteil! Die Kinder fragten mit glänzenden Augen: Das ist wirklich für mich?“ Gestiftet werden die Bücher dabei von Verlagen. Kultur ist kein Luxus, weiss das Ehepaar Stascheit – und will sich künftig noch stärker um jene kümmern, für die der Besitz eines Buches oder der Theaterbesuch nicht selbstverständlicher Teil des Lebens ist. Während viele Stiftungen bei der Investition ihrer Stiftungsgelder zuletzt unter der jahrelangen Zinsebbe litten, waren die Stascheits mutiger und haben ihre Gelder in Aktien investiert. Mit Erfolg, der nun der Kulturförderung zugute kommt.

2 Im Einsatz für Allergiker, Bildungsarbeit und neue Therapien

Für Albert Jonker war ein traumatisches Erlebnis der Anlass, eine Stiftung zu gründen: Sein Enkel wäre beinahe an der Folgen einer Erdnussallergie erstickt. Die von ihm gegründete Bea-Stiftung will aufklären, Bildungsarbeit leisten, Schulungen in Kitas durchführen und auch mögliche Behandlungsansätze unterstützen. Aktuell wird etwa eine Studie an der Berliner Charité mitfinanziert, die neben dem Meiden des Allergens und der Behandlung mit Hilfe eines Notfallsets eine orale Immuntherapie untersucht. Insgesamt leiden in Deutschland bis ein Prozent der Kinder an einer Erdnussallergie, die je nach Ausprägung zu milderen Symptomen wie Bauchweh und Durchfall, aber schlimmstenfalls auch zu schweren Auswirkungen wie Atemnot und Kreislaufschock führen kann. Weil sich Erdnüsse auch versteckt in vielen Speisen befinden können, die Erdnuss jedoch weltweit die häufigste Ursache schwerer, zum Teil tödlicher allergischer Reaktionen ist, sei es wichtig, Aufklärungsarbeit zu leisten, so die Familie Jonker. Deshalb unterstützt die die Bea-Stiftung auch die medizinische Ernährungsberatung für Allergiker und einen erdnussfreien Kindergarten in Berlin.

3 Trost Spenden für unglückliche und einsame Menschen und Tiere

Tier und Mensch sind eine Einheit, glauben die Gründer der Sentana-Stiftung, die sich deshalb für beide „in schwierigen Lebenssituationen“ einsetzt. In Sentana, einem Dorf nahe Bielefeld in Nordrhein-Westfalen, haben die Stiftungsgründer Marita und Ralph Anstoetz einen Gnadenhof für Tiere aller Art geschaffen und möchten „etwas von dem Glück, das ihnen ihre tierischen Wegbegleiter geschenkt haben, zurückgeben“. Das Dorf, so der Wunsch des Ehepaars Anstoetz, solle „ein wohliger Ort der Begegnung für einsame, traurige und unglückliche Menschen und Tiere sein und ihnen zumindest einige Stunden pro Woche die Seelen trösten.“ Hunde, Hühner, Kaninchen oder Kühe werden in Sentana medizinisch versorgt, gefüttert und umsorgt. Die zwei neuesten Bewohnerinnern heißen Rosi und Heide, und sind zwei Zuchtschweine, die die vergangenen Jahre als Zuchtsäue in „Haltungsform 1“ mit 0,75 Quadratmeter Platz verbracht haben, nun jedoch durchs Dorf tollen können. Tiergestützte Pädagogik soll umgekehrt Menschen in belastenden Lebenssituationen helfen. Parallel wollen die Stifter Kindern den achtsamen Umgang mit Tieren beibringen und bieten Hofführungen und das gemeinsame Versorgen der Tiere an. Sehr aktiv wirbt die Stiftung auch um Unterstützung, etwa für Behufungen ihrer Ponys und Esel oder ein neues Gebäude für soziale Aktivitäten.

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Foto: Mauritius Images/ Beaconstox

4 Dem Andenken eines legendären Kaisers gewidmet

Am 26. Februar 2015 versammelten sich 83 Privatpersonen, drei Firmen und zwei Vereine im thüringischen Altenberg zur Gründung einer Stiftung. Das Datum war bewusst gewählt, denn an ebendiesem Tag, nur 850 Jahre zuvor, weilte ein sehr berühmter Mann erstmals in Altenburg: Friedrich I, ein Staufer, deutscher König, schwäbischer Herzog und von 1155 bis 1190 Kaiser des heiligen Römischen Reiches. Sein berühmter Beiname, Barbarossa, gab der Stiftung auch ihren Namen. Die Barbarossa-Stiftung widmet sich nun den vielfältigen Facetten des Stauferkaisers, will Altenburg – im Mittelalter ein wichtiges Machtzentrum – als speziellen Erinnerungsort ausbauen. Zu den bisherigen Projekten der Stiftung zählen beispielsweise Burgbau-Tage für Kinder, eine 3D-Kinofilmprojektion über den spektakulären Altenburger Prinzenraub von 1455 und nun im Oktober die wissenschaftliche Tagung „Barbarossa 900“, zum 900. Geburtstag des Staufers. Bei entsprechendem Spendenaufkommen denkt die Stiftung sogar an ein eigenes Museum.

5 Kinder mit Beeinträchtigungen und kluge Köpfe motivieren

Eine Institution „nicht von der Stange“ will auch die Aloys und Brigitte Coppenrath-Stiftung sein. Sie vereint zwei ungewöhnlich weit gespreizte Stiftungszwecke: Zum einen will man „pfiffigen Gründern aus dem Handwerk in der Startphase“ unter die Arme greifen, zum anderen soll das therapeutische Reiten in Hagen neue Dynamik erhalten. Das Reiten ist dabei ein besonderes Anliegen der Osnabrücker Stifterin Brigitte Coppenrath, die den Sport in ihrer Familie als „segensreich und förderungswürdig“ erlebt hat. Mit den Stiftungsgeldern soll zudem das Andenken an ihren verstorbenen Mann, den Gründer des 2015 an die Oetker-Gruppe verkauften Tiefkühl-Tortenimperiums Coppenrath & Wiese, bewahrt und gleichzeitig versucht werden, „der Region kluge und wagemutige Köpfe“ zu erhalten. Die Stiftung sieht sich als „Ermöglicherin“, hat beispielsweise mit dem Start-up Seedalive ein Projekt zur Untersuchung der Keimfähigkeit von Mais mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz gefördert – oder das Start-up Frudist, das ein Trocknungsverfahren entwickelt hat, mit dem sich getrocknete Früchte formstabil, mit intensiverem Fruchtgeschmack und erhaltenem Nährstoffgehalt anbieten lassen sollen.

6 Für mehr Chancengleichheit und Teilhabe im Straßenverkehr

Fahrschülern und Fahrschülerinnen mit Migrationshintergrund oder mit höherem Lebensalter will die Gerhard-Krieger-Stiftung finanziell zur Seite springen. Wer gefördert werden möchte, zum Beispiel mit einem Zuschuss von 200 oder 300 Euro, muss nicht nur seinen Wohnsitz im hessischen Dietzenbach haben, sondern auch seine Bedürftigkeit nachweisen. Die vier Gründungsmitglieder standen dem ehemaligen Fahrlehrer Gerhard Krieger nahe und wollen mit ihrer Stiftung an „diesen wunderbaren, liebenswerten Menschen erinnern und seine Ziele und Ideale über seinen Tod hinaus verfolgen“. 2008, vier Jahre nach dem Tod des Fahrlehrers gegründet und mit einem Stiftungskapital von 25 000 Euro ausgestattet, hat die Stiftung inzwischen rund 800 Fahrschülern geholfen. Das Finanzamt, so berichtet Charlotte Rothmann, eine der Gründerinnen, habe größte Schwierigkeiten gemacht und musste monatelang überzeugt werden, dass es sich um eine mildtätige Stiftung und nicht um eine Wirtschaftsförderung für regionale Fahrschulen gehandelt habe. Zuletzt sei die Zahl der Förderanträge wegen der steigenden Kosten und der Inflation stark gestiegen.

Erschienen im Tagesspiegel am 13.09.2022

Er­schie­nen im Ta­ges­spie­gel am 21.09.2022