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Von Ute Weiland und Simon Batt-Nauerz
Spätestens seit Helmut Schmidt genießen Visionen einen zweifelhaften Ruf. Sie klingen nach Utopie, Wolkenkuckucksheim, Zeitvertreib für Spinner. Wir halten das für falsch.
Visionen sind Wegweiser in die Zukunft. Sie bilden den Strang, an dem wir gemeinsam ziehen. Vor allem sind sie das, was Berlin fehlt – wie uns die wenig inspirierende und inspirierte Mobilitätsdebatte täglich vor Augen führt.
Natürlich ist Klimaschutz das A und O, je schneller, desto besser. Als bedeutender CO2-Emittent muss auch der Verkehrssektor seinen Beitrag leisten. Aber: Beruht das zwangsläufig auf Verzicht, Verboten und erhobenen Zeigefingern? Müssen wir die einschlägigen Debatten entlang der kruden Vorstellung führen, die Welt teile sich in gute Radfahrer und böse Autofahrer? Diese Sicht auf die Dinge geht nicht nur an der Realität vorbei, sie ist auch ein echter Chancenkiller. Hätten unsere Stadtväter vor 100 Jahren mit einer ähnlichen Mentalität agiert, würden wir uns heute weiterhin mit Pferdedroschken fortbewegen. Das Groß-Berlin des 21. Jahrhunderts (siehe Artikel „Die Zukunft der Metropolregion“) gekoppelt mit dem Ziel der Klimaneutralität bis 2050 werden wir nicht allein auf dem Fahrrad und mit höheren Parkgebühren erreichen.
Viele Szenarien sind im Landeanflug auf die Realität
Es ist an der Zeit, den Blick zu weiten. Wo, wenn nicht in Berlin mit seiner Wissenschaftslandschaft und technologieoffenen Bevölkerung gibt es bessere Voraussetzungen? Tatsächlich sind viele Szenarien, die nach Science Fiction klingen, längst im Landeanflug auf die Realität. Nur den Weg in den Mobilitätsdiskurs scheinen sie nicht zu finden. Urban-Air-Mobility-Konzepte haben große Fortschritte gemacht. Volocopter will in zwei bis drei Jahren mit kommerziellen Flügen starten, Lilium plant den gewerblichen Betrieb ihres Flugtaxis für 2024. Zukunftsmusik? Hier deuten sich Optionen an, die wir beim Thema klimaschonender Verkehr nicht ausblenden sollten. Berlin als Labor und Schaufenster für Mobilitätsinnovationen, dafür gibt es bereits einen Ort: Graft Architekten wollen das seit 2014 verwaiste ICC zum M.ICC ausbauen – zum Mobility Innovation Convention Center! Im Untergeschoss mit Berlins größter E-Ladestation ausgestattet, forschen Start-ups und Wissenschaftler an umweltschonender, schneller, komfortabler Mobilität.
Fundament autonomen Transports, zu Lande oder in der Luft, sind Myriaden von in Echtzeit verfügbaren Informationen. Wir in Berlin sitzen auf solch einem Datenschatz, beachten ihn aber nicht. Zwar existieren Pools mit Schnittstellen nach außen. Der Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg stellt Fahrplandaten zur Verfügung. Größere Digitalisierungsvorhaben treffen aber auf Hürden. So hat der Europäische Gerichtshof den Datentransfer in die USA untersagt. In Europa mangelt es an Speicherkapazitäten, etwa Cloud-Diensten.
Flugtaxis, Magnetschwebetechnik, Hyperloop-Kapseln, Drohnen – nicht jedes visionäre Mobilitätskonzept wird den Weg in den Alltag schaffen. Aber einige schon! Fortschritt braucht mutigen Mindset, Berlin einen Aufbruch von Politik, Verwaltung und Stadtgesellschaft. Selten waren Visionen so wenig futuristisch wie heute. Nicht verbieten, sondern überflüssig machen sollte der Anspruch sein.
— Ute Weiland ist Geschäftsführerin von Deutschland – Land der Ideen, Simon Batt-Nauerz Geschäftsführer von Aero-Ground Berlin GmbH. Beide leiten den VBKI-Mobilitätsausschuss