„Ein Mann wird schief angesehen, wenn er keine Elternzeit nimmt“
SCHWEDEN

„Ein Mann wird schief angesehen, wenn er keine Elternzeit nimmt“

Schweden gilt als das Musterland der Gleichstellung. Wiebke Ankersen und Christian Berg erklären, was die Skandinavier anders machen

Was die Skandinavier in Sachen Gleichstellung anders machen. Ein Interview mit Wiebke Ankersen und Christian Berg. Frau Ankersen, Herr Berg, was sind das für merkwürdige Bildchen an Ihrer Wand? Ich sehe lauter Herren in Anzügen, nebeneinander aufgereiht?Ankersen: Wir sammeln besonders schöne Exemplare solcher Fotos: Sie zeigen Vorstände großer deutscher Unternehmen. Viele bestehen immer noch ausschließlich aus Männern, die dann auch noch ähnlich alt sind und ähnlich aussehen: Fast alle sind mittelalt und weiß ...Berg: ... und erstaunlich viele heißen Thomas oder Christian. In einem unserer Berichte haben wir festgestellt: Es gibt mehr Menschen in deutschen Vorständen, die Thomas heißen, als Frauen. Wenn man die Fotos hier an unserer Bürowand so nebeneinander sieht, wird einem klar, dass sich das ändern muss.In Schweden sehen Vorstände anders aus?Berg: Inzwischen ja. Es wäre jeder Firma peinlich, mit einem solchen Bild an die Öffentlichkeit zu gehen. Die Kund:innen, die Mitarbeitenden, die Journalist:innen, alle hätten dann das Gefühl: Diese Firma ist sehr altmodisch, bietet vermutlich keine innovativen Produkte an und ist sicher kein attraktiver Arbeitgeber.Ihre Stiftung, die der Banker und lnvestor Sven Hagströmer 2011 in Schweden und 2018 in Deutschland gründete, hat dazu beigetragen, dieses Thema in die Öffentlichkeit zu tragen.Ankersen: Ja, Sven Hagströmer hat mit der AllBright Stiftung in Schweden begonnen, die Repräsentanz von Frauen in Vorständen und Aufsichtsräten zu dokumentieren. Ein sehr effizientes Mittel dabei ist das „Naming and Shaming“: Listen zu veröffentlichen mit den Namen von Unternehmen, die keine einzige Frau im Vorstand haben. Auf solchen Listen möchte gerade in Schweden keine Firma erscheinen.Schweden gilt schon seit Jahrzehnten als Vorbild in Sachen Geschlechtergerechtigkeit, im Gender Equality Index der Europäischen Union belegt es Immer den ersten Platz. Was genau machen die Schweden anders?Ankersen: Dazu muss man in die Geschichte zurückgehen. In den 1950er, 1960er Jahren war es nicht viel anders als hier: Die meisten Frauen waren nur bis zur Hochzeit oder bis zum ersten Kind berufstätig und wurden dann Hausfrauen. Als die stark exportgeprägte Wirtschaft in den 1960ern mehr Arbeitskräfte benötigte, haben die sozialdemokratischen Regierungen, auch auf Drängen der Wirtschaft hin, konsequent die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass mehr Frauen arbeiten gehen konnten. Das betraf zunächst den flächendeckenden Ausbau der Kinderbetreuung, quantitativ und qualitativ - das ist die Basis von allem.Berg: Ein weiterer wichtiger Punkt war die Abschaffung des Ehegattensplittings. In Schweden gilt schon seit 1971 die Individualbesteuerung. Es gibt somit keinen Steuervorteil für denjenigen Partner, der mehr verdient, was ja meistens der Mann war und oft immer noch ist. Und es gibt weniger Altersarmut unter Frauen, weil jede ihr eigenes Geld verdient. Das System ist darauf ausgerichtet, dass beide Partner voll arbeiten und beide für Haushalt und Kinderbetreuung zuständig sind.... und dass beide Partner Führungspositionen übernehmen können?Ankersen: Auf jeden Fall. Der öffentliche Sektor ist da konsequent vorangegangen, hat familienfreundliche Arbeitszeiten eingeführt und viele Führungspositionen mit Frauen besetzt. Das hatte große Signalwirkung auch für die Wirtschaft, dadurch haben sich immer mehr Frauen getraut, solche Positionen für sich selbst anzustreben. Sie wissen, dass sie sich nicht zwischen Karriere und Familie entscheiden müssen, sondern beides leben können. Schwedische Frauen bekommen übrigens mehr Kinder als deutsche, die Geburtenrate pro Frau liegt bei 1,7.Eine neue Studie der schwedischen Sozialversicherung Försäkringskassan kommt zu dem Schluss, dass Frauen in Schweden in den ersten beiden Lebensjahren eines Kindes Im Schnitt 12,7 Monate zu Hause bleiben, Männer nur 3,4 Monate. Das könne zu niedrigeren Löhnen, schlechteren Arbeitsbedingungen und Karrierechancen führen. Die Rentenlücke beträgt heute 30 Prozent...

Interview: Dorothee Nolte

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Christian Berg und Wiebke Ankersen führen die Geschäfte der AIIBright Stiftung in Berlin. Die Skandinavistin und der ehemalige Diplomat waren zuletzt an der Schwedischen Botschaft in Berlin tätig. Foto: AllBright Stiftung

Berg: Auch Schweden ist noch nicht am Ziel, das stimmt. Aber es ist selbstverständlich, dass Väter Elternzeit nehmen- ein Mann wird eher schief angesehen, wenn er keine Elternzeit nimmt. Männer können ihre Vätermonate nicht auf die Frau übertragen. Bei den Akademikern nehmen in der Regel beide Elternteile je sechs Monate, das ist ein Zeitraum, mit dem Firmen gut planen können. Als meine Frau und ich 2005 unser erstes Kind bekamen, habe ich insgesamt sechs Monate genommen, damals war das noch nicht selbstverständlich. Fünf Jahre später beim zweiten Kind war es schon recht normal.
Ankersen: Das heißt für die Firmen auch: Es ist ähnlich wahrscheinlich, dass ein Mann wegen Kindern ausfällt, wie es bei einer jungen Frau der Fall ist. Damit fällt ein Nachteil weg, den Frauen sonst bei der Jobsuche haben. Wenn ein Kind krank ist, bleiben auch Männer zu Hause beim Kind. Es gibt sogar ein spezielles schwedisches Verb für „mit krankem Kind zu Hause bleiben“: „vabba“.

Welche Unterschiede sehen Sie sonst noch im Arbeitsalltag zwischen Schweden und Deutschland?

Ankersen: Die Präsenzkultur ist weniger ausgeprägt als hier. Wenn in Schweden ein Mitarbeiter oft bis spät abends im Büro sitzt, würde man nicht sagen, oh, ist der aber fleißig- sondern jemand würde hingehen und fragen: Schaffst du deine Arbeit nicht? Hast du Probleme? Oder: Hast du kein Leben? Es ist allgemein akzeptiert, dass die Familie ein wichtiger Teil des Lebens ist und dass auch Führungskräfte zwischen 17 und 20 Uhr nicht erreichbar sind, weil sie sich um ihre Kinder kümmern wollen.
Berg: Daher gibt es in Schweden auch das ,loud leaving' - Führungskräfte verlassen für alle sichtbar pünktlich das Büro, damit auch die anderen ohne schlechtes Gewissen gehen können. Meetings werden grundsätzlich nicht nach 16 Uhr abgehalten. Im Ganzen arbeiten die Menschen in Schweden kürzer, aber konzentrierter. Schwedische Unternehmen sind nicht weniger produktiv als deutsche!

Seit dem Herbst regieren in Schweden nicht mehr die Sozialdemokraten, sondern eine konservative Koalition, die von den populistisch-rechtsradikalen Schwedendemokraten unterstützt: wird. Wird das Auswirkungen auf die Geschlechtergerechtigkeit haben?

Ankersen: Ich glaube nicht. Der Hauptkampf ist gekämpft, es geht nur noch um die letzten Meter. Es besteht ein weitgehender Konsens, dass Frauen und Männer Arbeits- und Familienleben gemeinsam und gleichberechtigt gestalten sollen. Diese Denk- und Verhaltensweisen sind sehr tief verankert in der schwedischen Gesellschaft, davon profitieren alle. Es ist kein Zufall, dass die skandinavischen Länder auch auf dem World Happiness Index weit vorn liegen.
Berg: Natürlich gibt es auch in Schweden von rechter Seite aus Polemik gegen „Gender-Wahn“ und es gibt Männer, die am liebsten Wikinger wären und sich durch Frauen in Führungspositionen bedroht fühlen. Aber die Triebfeder des rechtspopulistischen Protests richtet sich vor allem gegen Migration, nicht so sehr gegen die Art, wie Geschlechterrollen gelebt werden.

Kommen wir zurück nach Deutschland, in das Land, in dem mittelalte männliche weiße Vorstandsmitglieder auf Fotos noch Immer stolz gemeinsam posieren, ohne sich daran zu stören, dass weder Frauen noch Menschen mit sichtbarem Migrationshintergrund unter Ihnen sind...

Ankersen: Da ändert sich zum Glück gerade vieles. Als wir vor fast sieben Jahren mit unserer Arbeit begonnen haben, gab es dazu noch kaum ein Bewusstsein. Wir waren damals, wie auch viele ausländische Journalisten, überrascht, dass ein Land mit einer Frau an der Spitze in Gleichstellungsfragen so weit hinter den skandinavischen Ländern, aber auch hinter Großbritannien und den USA zurück liegt. Angela Merkel war eben, wie sie selbst gesagt hat, die Schwalbe, die noch keinen Sommer macht. Heute sind viel mehr Menschen und Unternehmen für Fragen der Repräsentation sensibilisiert.

Gilt das auch für Start-ups? Da tragen die Gründer und Vorstände zwar Hoodies statt Anzüge, aber man sieht auch fast nur Männer.

Ankersen: Das stimmt, die Start-up-Szene ist, in Deutschland wie international, starkmännerdominiert. Wir versuchen ihnen klarzumachen, dass sie Diversität besser von Anfang an in ihre Geschäftskonzepte und Personalpolitik integrieren, statt das später mit viel Aufwand nachzuholen.
Berg: Die Veränderungen kommen vor allem von den großen Firmen, bei ihnen liegt der Frauenanteil im Top-Management inzwischen bei 20 Prozent. Bei kleinen und mittleren und vor allem bei Familienunternehmen liegt der Frauenanteil in den Vorständen nach wie vor sehr niedrig, zwischen 8 und 16 Prozent.

Woran liegt das?

Berg: Große Firmen stehen stärker unter Druck: durch gesetzliche Quoten, aber auch durch lnvestor:innen, Kund:innen und Mitarbeitende. Vor Jahren hatten zum Beispiel Xing und Zalando rein männliche Vorstände und gaben auch als Ziel "0 Prozent Frauen" an. Und das in Unternehmen mit so vielen Frauen unter den Mitarbeitenden und Kunden. Nach Protesten haben sie eine Kehrtwende vollzogen und Korrekturen vorgenommen. Inzwischen ist vielen Unternehmen klar, dass Diversity nicht ,nice to have' ist, sondern im eigenen Interesse liegt.
Ankersen: Es wird langsam auch hier peinlich, wenn die Führungsebenen nur oder fast nur aus Männern bestehen. Solche Bilder wie die hier an unserer Wand möchte inzwischen wirklich niemand mehr sehen ...

Erschienen im Tagesspiegel am 12.02.2023

Mehr Diversität in der Wirtschaft

Die AllBright Stiftung ist eine gemeinnützige Stiftung, die sich für mehr Frauen und Diversität in den Führungspositionen der Wirtschaft einsetzt. Sie wurde 2011 in Stockholm von dem schwedischen Unternehmer Sven Hagströmer ins Leben gerufen, seit 2016 gibt es eine deutsche Schwesterstiftung in Berlin.

81,6% der schwedischen Frauen
sind erwerbstätig.

1,7 Kinder
bekommen schwedische Frauen im Durchschnitt. Bei deutschen Frauen liegt die Geburtenrate bei 1,53.

Er­schie­nen im Ta­ges­spie­gel am 27.02.2023