Die Zukunft wartet nicht
NACHHALTIGKEIT

Die Zukunft wartet nicht

Endlich kann die Branche wieder auf Messen zusammenkommen. Doch wie reagieren Versorger, Hersteller, Start-ups und Thinktanks auf die globale Krise? Ein Blick auf die E-World in Essen und auf das Greentech-Festival in Berlin zeigt: Es geht darum, diversifizierter und damit unabhängiger zu werden

Das Thema Energie ist brisant wie selten zuvor: Tanken ist teuer wie nie, aber auch Strom-, Gas- und Heizölpreise haben neue Rekordstände erreicht. Die Bundesregierung ruft zum Energiesparen auf, finanziert mit Milliarden Spritpreisbremsen, Heizkostenzuschüsse und das Fahren im Nahverkehr. Das sind die Vorzeichen, unter denen in den nächsten Tagen zwei wichtige Branchenveranstaltungen stattfinden: Die E-World in Essen und das Greentech-Festival in Berlin.Beide Veranstaltungen konnten in den vergangenen Jahren wegen der Pandemie nur eingeschränkt oder gar nicht abgehalten werden. Dass Messen und Großveranstaltungen jetzt wieder möglich sind, markiert einen Neubeginn – und der trifft zusammen mit einer absoluten Ausnahmesituation auf dem deutschen und europäischen Energiemarkt. Grund genug, genauer hinzuschauen: Welche Themen treiben die Branche um? Wie schlägt sich der Ukraine-Krieg nieder? Und was gibt es an Ideen und Ansätzen für die Energieversorgung von morgen?Ein Blick nach Essen: Die Geschäftsführerin der E-World, Stefanie Hamm, sitzt in ihrem Büro, die Vorfreude ist ihr anzusehen. Nach zweieinhalb Jahren Pause kann die E-World, die größte Fachmesse der Energie- und Wasserwirtschaft, wieder in gewohnter Form stattfinden. „Die Branche freut sich, endlich wieder zusammen zu kommen – das merke ich auf Social Media und durch persönliche Gespräche“, sagt Hamm.Die Messe ist laut Brancheninsidern eine Art „Klassentreffen der Energiewirtschaft“. Drei Tage lang tummeln sich in sechs Hallen Aussteller und Fachpublikum. 2020 waren es 25 000 Menschen, und auch dieses Jahr wird mit großem Zustrom gerechnet, und das, obwohl die Messe erstmals nicht im Februar, sondern pandemiebedingt im Juni stattfindet. „Die Aussteller laden in großem Maße ein“, so Hamm. Mehr als 700 Ausstellende sind angemeldet, darunter Energieversorger, Hersteller, aber auch Start-ups, Thinktanks und Verbände.Wie reagiert die E-World auf den Ukrainekrieg? Eine Frage, die durchaus brisant ist, denn: In der Vergangenheit waren unter den Ausstellern auf der E-World auch Unternehmen im russischen Staatsbesitz oder entsprechende Beteiligungen, etwa Gazprom, Astora oder Wingas, die das Bild der Messe zum Teil durchaus prägten. „2015 hatte Gazprom einen legendären Messestand: Es gab eine Bar, die aus einem riesigen Eisblock bestand, durch den dann Wodka geflossen ist“, erinnert sich eine Branchenkennerin. Derartige Szenen werden sich auf der E-World 2022 nicht abspielen, denn: Die Gesellschafter hatten bereits kurz nach Kriegsausbruch Anfang März bekannt gegeben, Aussteller aus Russland und Belarus nicht zur Teilnahme zuzulassen. „Sobald Russland zum Frieden und zur Akzeptanz des Völkerrechts zurückfindet, freuen wir uns, wenn wir die Geschäftsbeziehungen mit unseren langjährigen Kunden wieder aufnehmen können“, so Geschäftsführerin Hamm.Der Ukraine-Konflikt schlägt sich allerdings bei Weitem nicht nur auf Seite der Aussteller nieder, sondern er ist prägend für das, was die Energiewirtschaft aktuell umtreibt. „Das Thema Energiewende findet auf der E-World seit vielen Jahren statt, bekommt nun aber noch mal einen anderen Stellenwert. Wäre sie schneller vollzogen worden, wäre jetzt vielleicht die Abhängigkeit nicht so groß“, stellt Hamm fest.Ähnlich äußert sich Marco Voigt, der zeitgleich zur E-World in Essen das Greentech-Festival in Berlin veranstaltet und dort die Nachhaltigkeits- und Tech-Szene versammelt: „Durch den Krieg Russlands gegen die Ukraine ist noch deutlicher geworden, dass Rohstoffe begrenzt sind und dass Deutschland auf Energie-Importe angewiesen ist“, so Voigt. „Durch Energieeffizienz, Energieeinsparung und Elektrifizierung kann ein Wandel eingeleitet werden, ein wichtiger Schritt in Richtung Energieunabhängigkeit.“ Es brauche, so Voigt weiter, neue und innovative „Out-of-the-Box“-Ideen, um die Energieversorgung von Morgen sicherzustellen.Einige dieser Ideen werden auf dem Greentech-Festival präsentiert: Im früheren Flughafen Tegel treffen sich Unternehmen, Aktivistinnen, Innovatoren und Investorinnen. Drei Tage lang geht es um Innovationen und Technologien, mit denen Ressourcen geschont und nachhaltiges Wirtschaften vorangetrieben werden können. Unter dem Motto „Together we change“ gibt es eine Konferenz mit Ausstellung, zudem werden die „Green Awards“ verliehen. Erwartet werden Bundesfinanzminister Christian Lindner und zahlreiche Unternehmen, von Lufthansa über SAP bis Audi. Initiiert worden war das Greentech-Festival 2018 vom ehemaligen Formel-1-Fahrer Nico Rosberg als Plattform für grüne Technologien.Wie sehen sie aus, die Antworten auf Energieabhängigkeit und Klimawandel? Auf dem Greentech-Festival werden hier etwa Wasserentsalzungsanlagen vorgestellt oder leistungsstarke Kompaktbatterien, die mit Solarzellen aufgeladen werden können. Oder auch ein Dekarbonisierungskonzept für Beton, das auf Kohlenstoffabscheidung basiert.Auf der Essener E-World wiederum steht dieses Jahr Wasserstoff ganz besonders im Fokus: Erstmals gibt es einen Gemeinschaftsstand zum Thema „Hydrogen Solutions“. Und die Messe geht noch einen Schritt weiter: In einem „Prototype Club“ werden Aufgaben rund um die digitale Transformation des Wärmemarkts, der Wasserstoffinfrastruktur oder intelligenter Ladeinfrastrukturen bearbeitet. „Es geht hier um ganz konkrete Probleme, vor denen Energieversorger stehen, und für die dann im Rahmen eines Hackathons Lösungen entwickelt werden“, so Geschäftsführerin Hamm. Die besten Vorschläge werden auf der Messe prämiert und mit 10 000 Euro ausgezeichnet.Speicherlösungen, neue Energieträger, dazu die allgegenwärtige Debatte um Flüssiggas – eines ist sicher: An Themen wird es auf beiden Veranstaltungen nicht mangeln. Die große Klammer lautet: Energieunabhängigkeit. Konkret bedeutet das, dass der Energiepark der Zukunft so umgestaltet werden muss, dass einseitige Abhängigkeiten vermieden werden. Gelingen kann das laut Branchenkennern durch eine Diversifizierung der Bezugsquellen, Energieeinsparungen und ein entschiedenes Vorantreiben erneuerbarer Energieträger. Dass in den vergangenen Jahren stark auf Gas als CO2-ärmere Alternative zur Steinkohle gesetzt wurde, habe sich aufgrund der geopolitischen Lage als Irrweg erwiesen. Ein großer Trend der Energiewirtschaft im Jahr 2022 ist darum: Die Zeiten, in denen auf Gas als „Brückentechnologie“ gesetzt wurde, sind vorbei.

Von Simone Dyllick-Brenzinger

Erschienen im Tagesspiegel am 21.06.2022

Er­schie­nen im Ta­ges­spie­gel am 29.06.2022