Fossile Energieträger haben bekanntlich zwei äußerst unangenehme Eigenschaften: Sie ruinieren das Klima, und sie kommen vor allem in Regionen vor, die repressiv bis diktatorisch regiert werden. Mit diesen Regimen schließt der ewig energiehungrige Westen dann Verträge– und stabilisiert sie dadurch. Auf erneuerbare Energien umzusteigen würde also gleich zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Es wäre eine Art Befreiungsschlag.Das ist so ziemlich allen klar, und trotzdem gibt es Streit. Windräder sind unbeliebt, keiner will sie vor der Haustür haben. Wie viel Platz soll jedes Bundesland für sie reservieren? Zwei Prozent Fläche bedeuten im Saarland etwas anderes als in Bayern. Wie groß soll der Abstand zu Siedlungen sein? Ist er kleiner als „2H“ (doppelte Höhe, bei 250 Metern also 500 Meter) gilt ein Windrad als „optisch bedrängend“, das ist gerichtlich festgestellt.Aktuell drehen sich rund 30 000 Windräder in Deutschland. Ihr Ausbau geriet zuletzt ins Stocken, doch jetzt steht für Wirtschaftsminister Robert Habeck Windkraft wieder ganz oben auf der Agenda. Wie aber kann man erreichen, dass die Bevölkerung ihren Frieden mit Windrädern macht? Dass sie von vielen als störend, als Fremdkörper empfunden werden, liegt auch an einem fundamentalen Fehler: Planerinnen und Planer in Deutschland konzentrieren Windräder vor allem an bestimmten Orten, die sowieso bereits als „vorbelastet“ gelten. Sie sortieren die Landschaft in „schön/erwünscht“ und „hässlich/weniger wert“. Eine Kategorisierung, für die sogar ein eigenes Punktesystem existiert.Damit stigmatisieren sie bestimmte Gegenden, machen sie zu landschaftlichen Ghettos, die aus Planersicht bereits von Autobahnen, Stromtrassen oder Gewerbegebiete ruiniert sind – und wo es somit „nicht schlimm“ ist, wenn die Windräder dort konzentriert werden. „Dieses Paradigma ist ein Fehler, wir müssen das aufgeben, wenn wir wollen, dass Windkraft von der breiten Bevölkerung angenommen wird“, sagt Sören Schöbel, Professor für Landschaftsarchitektur an der TU München. Er setzt sich seit 15 Jahren mit der Frage auseinander, wie Windräder so aufgestellt werden können, dass sie ihre Wirkung mit der Umgebung entfalten, nicht gegen sie. Sein schon 2012 veröffentlichtes Buch zum Thema trägt den Titel: „Windenergie und Landschaftsästhetik – Zur landschaftsgerechten Anordnung von Windfarmen“.Schöbels Credo: Das Land sollte flächendeckend und gleichberechtigt, aber intelligent (!) mit Windrädern überzogen werden, so dass jede Region gleichermaßen betroffen ist – statt „gute“ und „schlechte“ Gegenden auszuweisen. Die Menschen würden ja auch in den „schlechten“ Gegenden durchaus gerne leben, sich dann aber sagen: Ich wäre ja schön blöd, wenn ich ein Windrad vor meiner Tür akzeptieren würde, wenn die Planer selbst sagen, dass es schlimm ist, neben einem zu wohnen. Wie soll man etwas schätzen, dass sogar von seinen Schöpfern wie Sondermüll behandelt wird?Auch die andere Seite, also vermeintliche Idyllen gleichsam einzufrieren und zu musealisieren, ist problematisch. Sogenannte „schöne“ Landschaften sind eine Täuschung. Es gibt in Deutschland keine ursprüngliche Natur mehr, jedes Feld, jeder Bach wurde irgendwann von Menschenhand berührt und verändert, Wälder gerodet, Torf abgebaut. Der romantische Dichterblick auf die Natur war immer vor allem ein städtischer gewesen. Für die, die auf dem Land leben, war es hingegen immer selbstverständlich, dass dieses bewirtschaftet wird, ob durch Getreideanbau, Viehhaltung oder jetzt eben Wind- (und Solar-)energie, ist dabei zweitrangig. Landschaft ist in Deutschland immer konstruiert, immer gemacht, egal ob rauschender Blätterhain oder Lokistikzentrum von Rewe.Windräder haben immerhin den Vorteil, dass sie theoretisch auch wieder verschwinden können, ohne eine Spur zu hinterlassen. Sie schädigen damit die Umwelt deutlich weniger als etwa ein Braunkohletagebau. Schöbel sagt: „Wenn wir uns dazu bekennen und sagen: Ja, wir wollen die Energiewende – dann sollten wir nicht so tun, als könnten wir Windräder irgendwie verstecken. Sondern sie offensiv und klug in die Landschaft einbauen.“ Wie kann das gehen?Dänemark oder die Niederlande, sagt er, würden Windräder nicht irgendwie verschämt ins Bild schmuggeln, sondern sich Gedanken machen über ihre Anordnung. „Die Niederlande haben sowieso ein anderes Verhältnis zur Landschaft, da sie sie in großen Teilen selbst geschaffen haben, deshalb ist die Idee der Gestaltung dort auch viel stärker verankert“. Ein weiteres Vorbild könnte Frankreich sein. Das bezieht seine Energie zugegeben weitgehend aus Kernkraft und muss deshalb viel weniger Windräder unterbringen als Deutschland. Aber selbst über diese wenigen Windräder denkt man westlich des Rheins stärker nach – um wie viel mehr wäre das dann hierzulande notwendig? Das Ministère de l’Ecologie, de l’Energie, du Développment durable et de la Mer hat schon 2010 eine Handreichung für Kommunen herausgegeben, in der beschrieben wird, wie Windräder am besten aufgestellt werden sollten. Von einer Betonung der „Kraftlinien der Landschaft“ ist da die Rede. „Das bedeutet etwa“, erklärt Schöbel, „in hügeligen oder gebirgigen Gegenden die Windräder oben entlang eines Grates zu platzieren, so dass sich ein sinnfälliger Zusammenhang ergibt.“ So, dass jeder Beobachter sagt: „Da hätte ich sie auch hingestellt.“ Auch Standorte im Wald seien sinnvoll und in vielen Fällen mit dem Naturschutz vereinbar – besser, als die Räder zwischen Dörfer zu drängen.Was die „Kraftlinien der Landschaft“ genau sind, weiß die lokale Bevölkerung häufig am besten. Deshalb müssen, so Schöbel, Windräder in enger Abstimmung mit den Menschen vor Ort aufgestellt werden, Stichworte: Partizipation, Teilhabe, Dialog. Ans Ende seines Buches hat er sieben knappe Grundsätze gestellt, an denen sich Planer orientieren können, etwa „Gemeinwillen zeigen“, „Eigenart erhalten“ oder „Zusammenhänge schaffen“. Der letzte und wichtigste Grundsatz: Windräder können Sinn stiften. Und zwar gleich auf dreifache Weise: Indem sie sinnfällig (gut wahrnehmbar und verständlich), sinnhaft (mit Bedeutung verbunden) und sinnvoll (eine intelligente Veränderung) sind.In dem Thema steckt noch sehr viel vernachlässigtes Potential. So hat eine von Schöbels Doktorantinnen untersucht, wie sich Windräder im Oderbruch nordöstlich von Berlin aufstellen ließen – und dabei die Prinzipien des Goldenen Schnitts und des römischen Architekturtheoretikers Vitruv angewandt. Schöbel selbst steht in regelmäßigem Austausch mit Ministerien oder wissenschaftlichen Institutionen wieder Leopoldina. Vielleicht kommt ja auch Deutschland irgendwann weg von seinen romantischen Bildern, überwindet die Dichotomie von „schön“ und „hässlich“. Wichtig wäre es, denn die Energiewende ist nur mit den Menschen zu schaffen, nicht gegen sie.
Von Udo Badelt
Erschienen im Tagesspiegel am 21.06.2022
Erschienen im Tagesspiegel am 29.06.2022