Beyond Erdgas: Wie werden wir klimaneutral?
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BERLIN SCIENCE WEEK

Beyond Erdgas: Wie werden wir klimaneutral?

Unsere Abhängigkeit von fossilen Energien zu mindern, macht uns widerstandsfähiger. Der Energie-Umstieg und die Transformation unseres Wirtschaftens können zudem den europäischen Zusammenhalt stärken

Klimaschutz wird zunehmend zum Maßstab guter Wirtschaftspolitik und unserer privaten Entscheidungen.

TEXT Barbara Praetorius, Professorin an der HTW Berlin

Im Klimaschutzgesetz verpflichtet sich Deutschland, die Klimagasemissionen bis 2030 um 65 Prozent gegenüber 1990 zu senken und bis zum Jahre 2045 treibhausgasneutral zu sein. Dazu sollen die erneuerbaren Energien bis 2030 von heute rund der Hälfte auf 80 Prozent des Bruttostromverbrauchs ausgebaut werden.

Rund 20 Prozent unseres Bedarfs an Wärme und Strom werden heute noch durch Erdgas gedeckt und es soll eigentlich noch für eine Weile die Brücke für den Übergang aus der fossilen und atomaren Energiewelt in das Zeitalter der erneuerbaren Energien bilden, denn Erdgas ist weniger emissionsintensiv als Öl und Kohle. Deshalb sollte auch der Kohleausstieg durch einen vorübergehenden Ausbau von Gaskraftwerken flankiert werden, bis die erneuerbaren Energien ausgebaut worden sind. Noch 2021 bezog Deutschland rund 55 Prozent seiner Erdgasimporte über mehrere Pipelines aus Russland, weitere große Mengen aus Norwegen und den Niederlanden. Die Inbetriebnahme von Nordstream II hätte diese Abhängigkeit noch weiter zementiert. Mit anderen Worten: Mehr als die Hälfte unseres Erdgases stammt bisher aus einem Land, das derzeit mit Einnahmen aus Energieexporten einen aggressiven Angriffskrieg auf die Ukraine finanziert und zugleich Europa unter Druck setzen kann, weil es bis heute so abhängig ist von diesen Erdgasimporten. Lange Jahre galt das Verhältnis von Russland und Europa als stabil, da es eine wechselseitige Bindung durch Verträge und wirtschaftliche Verflechtungen gab – eine Fehleinschätzung, wie sich jetzt dramatisch zeigt.

Dass Abhängigkeiten immer ein strategisches Risiko bergen, hätte man an früheren Erfahrungen ablesen können: auf die Ölpreiskrisen der 1970er Jahre hatte man mit der Gründung der Internationalen Energieagentur in Paris reagiert, eine gemeinsame Politik zur Ölversorgungssicherheit beschlossen und fortan die Herkunft der Importe so breit aufgestellt, dass man nicht in zu große Abhängigkeit von einzelnen Ländern geraten konnte. Für Erdgas gab es bisher keine solche Strategie, und so muss Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck nun eilig neue schwimmende Flüssiggasterminals organisieren und bereist die halbe Welt, um neue Bezugsquellen für Flüssiggas zu finden.

Doch das kann nur ein – teurer – übergangsweiser Notanker sein. Denn in Zeiten des für alle spürbar gewordenen Klimawandels reicht es nicht, lediglich auf andere Lieferanten umzustellen und ansonsten weiterzumachen wie bisher. Im Gegenteil: Flüssiggas wird meist sehr klima- und umweltschädigend hergestellt und das Ziel der Klimaneutralität erfordert letztlich den vollständigen Erdgasausstieg.

Umstieg auf erneuerbare Energien dringend beschleunigen

Vielmehr muss jetzt nachgeholt werden, was in der Vergangenheit vernachlässigt oder gar verpasst wurde: der Umstieg auf erneuerbare Energien muss dringend beschleunigt und der Verbrauch von fossilen Energien massiv gesenkt werden. Die Genehmigungsverfahren und der administrative Aufwand für große und kleine Erneuerbare-Energien-Anlagen müssen vereinfacht und Anreize für mehr Investitionen gesetzt werden. Im Wärmebereich müssen wir die Gebäude energetisch sanieren und möglichst bald umstellen auf andere Heizungsarten, beispielsweise Solarthermie, also Wärme vom Dach, und Wärmepumpen. Denn der Energieträger der Zukunft ist Strom: der Umstieg auf Elektromobilität und Wärmepumpen auf Basis von erneuerbaren Energien ist deutlich günstiger und einfacher als die Herstellung und Verwendung von Wasserstoff und synthetischen Kraftstoffen. Nur ausgewählte Bereiche werden letztere nutzen müssen, beispielsweise der Flugverkehr und einige chemische und industrielle Prozesse.

Die Vision der Erdgasbrücke ist also mit dem Ukraine-Krieg schneller brüchig geworden als zu erwarten war. Doch der Umstieg braucht Zeit und die Sorge um die Versorgungssicherheit leitet die aktuellen politischen Entscheidungen. Die Bundesnetzagentur überwacht akribisch die Füllstände der deutschen Erdgasspeicher und untersucht in vielen alternativen Szenarien, wie sich die Versorgungslage im kommenden Winter darstellen könnte. Die gute Nachricht ist: die Speicherstände in Deutschland liegen mittlerweile hoch. Eine Beruhigung ist das aber nur teilweise, denn auch wenn wir durch diesen Winter kommen, besteht für den Winter 2023/24 ein erhebliches Risiko physikalischer Knappheiten von Erdgas. die Krise ist also absehbar eine längere und die Sorge der Menschen und der Wirtschaft vor einem Versorgungsengpass in diesem und dem nächsten Winter berechtigt.

Parallel steigen die Energierechnungen um ein Mehrfaches. Das bringt Menschen mit geringerem Einkommen, aber auch Energieversorgungsunternehmen und energieintensive Unternehmen in teilweise erhebliche finanzielle Schwierigkeiten. Für den kommenden Winter heißt das zum einen, den Verbrauch und die Heiztemperatur zu senken und nur Räume zu heizen, die wichtig sind. Auch Warmwasser sollte man sparsam bereithalten und nutzen, die Heizungsanlage energetisch optimal einstellen lassen. Das alles hilft dem Geldbeutel und gleichzeitig der Versorgungssicherheit. Zwar hat die Regierung in den mittlerweile drei Entlastungspaketen eine Reihe von finanziellen Hilfen beschlossen, eine „Vollkasko“-Versicherung gegen Preissteigerungen gibt es jedoch nicht. Das wäre auch nicht sinnvoll, denn sonst gingen die Anreize zum Energiesparen verloren. Besser ist daher der Ansatz, gezielt dort zu entlasten, wo sonst existenzielle Krisen drohen. Das betrifft auch die Wirtschaft, die derzeit unter den Energiepreisen ächzt. Die Lieferketten sind noch durch Corona und die wichtigen Sanktionen gegen Russland beeinträchtigt. Systemrelevante Unternehmen müssen deshalb unterstützt werden, wenn sie in eine kritische wirtschaftliche Lage geraten. Umgekehrt können Zufallsgewinne nicht einfach hingenommen werden; die Regeln für deren Abschöpfung werden am besten einheitlich auf europäischer Ebene bestimmt. Die Transformation der Wirtschaft zur Klimaneutralität muss auch sozial gut abgefedert werden, um alle mitzunehmen.

Eine europäische Lösung für mehr Klimaschutz

Für den Fall, dass Strom knapp werden sollte, werden in Deutschland derweil einige Kohlekraftwerke in der Reserve bereitgehalten. Doch das Hauptproblem ist hier weniger das Erdgas, sondern die Trockenheit in Europa, die es vor allem in Frankreich unmöglich machte, Kraftwerke per Flusswasser zu kühlen. Zahlreiche französische Atomkraftwerke mussten zudem vom Netz, weil bei ihnen erhebliche Sicherheitsrisiken diagnostiziert wurden. Die gute Nachricht: dass Klimaschutz und Versorgungssicherheit zusammen funktionieren und dafür weder der Kohleausstieg noch der atomausstieg rückgängig gemacht werden muss, belegen viele wissenschaftliche Analysen. So rechnete das DIW Berlin im Herbst 2021 vor, dass eine vollständig erneuerbare Energieversorgung wirtschaftlich und technisch möglich und sinnvoll ist, um die Klimaschutzziele zu erreichen. Die Flächen sind vorhanden, wichtig ist eine gute Koordination beim Aus- und Umbau von Erzeugungsanlagen, speichern und der Netzinfrastruktur, so das DIW. Außerdem ist es wichtig, alle europäischen Länder im europäischen Stromnetz in diese Transformation einzubinden, um die Versorgung sicher und bezahlbar zu machen. Europa ist am besten gegen die Klimakrise und die energiepolitischen Folgen des Ukrainekriegs aufgestellt, wenn es abgestimmt handelt. Es kommt jetzt in allen Ländern darauf an, den Klimaschutz voranzubringen, denn erneuerbare Energien verursachen mittlerweile geringere strombereitstellungskosten als fossile Kraftwerke, und das bei Klimafolgekosten von nahezu Null.

Programmtipps

5. NOV 15.30, CAMPUS, hybrid, Deutsch
Beyond Erdgas: Wie werden wir unabhängig und klimaneutral?
Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin (HTW Berlin)

2. NOV ab 13.30, Einstein Center Digital Future, in Person, Deutsch
postfossilCities – Das Spiel zur klimaneutralen Stadt der Zukunft
UCS Ulrich Creative Simulations

5. NOV 17.30, CAMPUS, hybrid, Englisch
RETHINKING Cities
ETH Zürich, ENHANCE

9. NOV 17.30, Urania Berlin, in Person, Deutsch
Energiesicherheit im postfossilen Zeitalter
UniSysCat, Urania Berlin

10. NOV 19.00, HU Berlin, in Person, Deutsch
Der Angriffskrieg auf die Ukraine und seine Implikationen für die nationale und internationale Agrar- und Ernährungspolitik
Humboldt-Universität zu Berlin

FOTO HTW Berlin / Alexander Rentsch
FOTO HTW Berlin / Alexander Rentsch

Prof. Dr. Barbara Praetorius, Professorin an der Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW Berlin) mit den Schwerpunkten Nachhaltigkeit, Umwelt- und Energieökonomie und -politik. Bei der von der Bundesregierung einberufenen Kommission Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung („Kohlekommission“) war sie eine der vier Vorsitzenden.