Berlin als Leuchtturm für eine zirkuläre Ökonomie?
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BERLIN SCIENCE WEEK

Berlin als Leuchtturm für eine zirkuläre Ökonomie?

Nachhaltigkeit als wirtschaftliches Leitbild einer Metropole gehört heute zum Pflichtprogramm strategischer Politik. Wie weit ist Berlin? Hat die Hauptstadt das Potenzial, mit Städten wie Amsterdam oder Brüssel konkurrieren zu können?

Setzen sich Städte ein Leitbild für ihre Wirtschaft, so geht es meistens darum, innovativ und dynamisch zu sein, um als attraktiver Standort Investoren anzuziehen.

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Christian Lautermann, Institut für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW)

Siegfried Behrend, Institut für Zukunftsstudien und Technologiebewertung (IZT)

Damit sollen mehr Wachstum, Beschäftigung und Steuereinnahmen – kurz: wirtschaftlicher Wohlstand – ermöglicht werden. Als besonders sexy gelten Metropolen, in denen sich Start-ups tummeln, Einhörner geboren werden und Tech-Konzerne ansiedeln. Ob Hightechinnovationen einen wirklichen gesellschaftlichen Fortschritt bedeuten oder ob sie gar auf neuen Formen der Ausbeutung basieren, bleibt dabei häufig unhinterfragt.

Ökonomien zwischen Tradition und Zukunft

Taugt demgegenüber das Leitbild eines nachhaltigen Wirtschaftens zum Aushängeschild einer innovativen Metropole? Unsere Hauptstadt Berlin erscheint mit ihren vielfältigen Nachhaltigkeitsinitiativen prädestiniert dafür, das Motiv des internationalen Standortwettbewerbs durch eine Wirtschaftskultur zu ersetzen, die zu einer sozialökologischen Neuausrichtung animiert. Es ist aber nicht damit getan, den Discounter um den Biosupermarkt zu ergänzen, Benziner durch Elektrofahrzeuge zu ersetzen und unter den Start-ups auch ein paar „grüne“ dabeizuhaben.

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Kreisverkehr statt Einbahnstraße: Ressourcen müssen nachhaltig gesteuert werden.

Nicht das Gleiche in grün, sondern anders

Eine nachhaltige Ökonomie erfordert vielmehr, die wirtschaftlichen Strukturen, Organisationsformen und Austauschbeziehungen grundlegend anders auszugestalten. Das bedeutet zum einen, neuartige Unternehmen aufzubauen, die sich vom herkömmlichen Verständnis deutlich unterscheiden: Sie betreiben nach innen wie außen solidarischen Ausgleich, sie ermöglichen demokratische Mitbestimmung und Teilhabe für die beteiligten Menschen und sie sind kompromisslos auf soziale und ökologische Ziele hin ausgerichtet. Zum anderen muss sich das Netzwerk ändern, in das die Unternehmen, ihre Lieferanten und Kunden eingebunden sind – statt einer Einbahnstraße ermöglichen integrative und kooperative Beziehungen zwischen den Wirtschaftsakteuren die nachhaltige Kreislaufführung wertvoller Ressourcen. Alternative Unternehmensformen und Circular Economy sind zwei vielversprechende Ansätze zu einer nachhaltigen Wirtschaft, die in einem urbanen Kontext wie Berlin ein großes Potenzial haben. Als alternative Ökonomien lassen sich solche Wirtschaftspraktiken und Unternehmensformen bezeichnen, die es bewusst anders machen, als in der kapitalistischen Marktwirtschaft ansonsten üblich. Sie existieren in vielfältigen Formen, die über mehrere Jahrzehnte in allen lebenswichtigen Wirtschaftsbereichen entstanden sind – und weiterhin neu entstehen.

Gemeinsam ist ihnen, dass soziale Werte und ökologische Ansprüche maßgeblich für das wirtschaftliche Handeln sind. So sind schon in den 1970er Jahren Alternativbetriebe entstanden, die nicht nur kollektiv solidarisch organisiert sind, sondern sich beispielsweise als Ökopioniere um die Verbreitung ökologisch erzeugter Lebensmittel verdient gemacht haben – wie etwa das Frauenkollektiv Kraut und Rüben, das seit 1978 als Bioladen in Berlin-Kreuzberg besteht. Im letzten Jahrzehnt ist Berlin dann die Brutstätte für eine neue Generation alternativer Unternehmen geworden. Sie laufen unter dem Begriff Social Entrepreneurship. Was sie anders machen: Sie entwickeln innovative Geschäftsmodelle, bei denen der soziale oder ökologische Zweck der Wirtschaftstätigkeit in der Unternehmensorganisation dauerhaft und vorrangig festgeschrieben ist. Berühmtestes Beispiel ist die alternative Internetsuchmaschine Ecosia, die ihre Werbeeinnahmen systematisch dazu verwendet, in Klimaschutzprojekte wie das Pflanzen von Bäumen zu investieren. Die Vielfalt alternativer Ökonomien umfasst auch Ansätze, die noch grundsätzlicher mit Alternativen zur herrschenden Wirtschaftsweise experimentieren. So arbeitet die neue Initiative Circles an nichts Geringerem als an der Entwicklung eines neuen dezentralen Geldsystems. Basierend auf der Blockchain-Technologie soll es ein bedingungsloses Grundeinkommen ermöglichen, indem Vertrauensbeziehungen zwischen Wirtschaftsakteuren zum gemeinschaftlichen Aufbau lokaler Ökonomien genutzt werden.

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Soziale und ökonomische Ziele in Einklang bringen: Visionen für die Zukunft des Tempelhofer Felds (oben) und Gebrauchtwaren in der „Nochmall“ der BSR.

Der Weg zum zirkulären Wirtschaften

Nachhaltige lokale Ökonomien erfordern zirkuläre Wirtschaftsstrukturen. Die nächste Generation der Kreislaufwirtschaft entsteht insbesondere in urbanen Räumen. Sie umfasst neue Wirtschaftspraktiken wie innovative Reparaturkonzepte, Tausch- und Verleihplattformen, Re-Commerce, Vermittlungsbörsen für geteilte Güternutzung und vieles mehr. Gerade in Berlin ist in den letzten Jahren eine vielfältige Innovationslandschaft entstanden. Im Bereich Re-Use kann die Zahl der Akteure auf rund 340 geschätzt werden. Darunter befinden sich zahlreiche Secondhandläden, Kleiderkammern, Büchertische, Sozialkaufhäuser usw. Mit der sogenannten NochMall betreibt die BSR ein Gebrauchtwarenkaufhaus. Die Akteure im Bereich Sharing Economy reichen von kommerziellen Plattformen bis hin zu gemeinwohlorientierten Initiativen (z.B. Fairleihen). Als Treiber, Ideengeber und Umsetzer der Idee der Circular Economy gibt es zahlreiche Netzwerke (wie die Kreislaufwirtschaft Berlin-Brandenburg oder CRCLR), Initiativen (wie das Haus der Materialisierung oder die Circular Economy Tours) sowie Akteure aus Wirtschaft, Wissenschaft, Politik und Zivilgesellschaft (wie das BluehouseLab von ALBA, Circular Berlin, der Cradle to Cradle e.V., das InfraLab der BSR).

Es stellt sich also die Frage: Wenn eine Stadt über solch aussichtsreiche Ansätze eines nachhaltigen Wirtschaftens verfügt – wie kann sie dann deren Potenziale nutzen, um als Leuchtturm für alternative Ökonomien eine Strahlkraft zu entfalten? Die Berliner Politik hat erste Anläufe unternommen: So hat die Senatsverwaltung für Wirtschaft, Energie und Betriebe pilothafte Förderprojekte – unter den Namen „Social Innovation Capital“ und „Social Economy Berlin“ – für eine breitere Gruppe alternativ wirtschaftender Akteure auf den Weg gebracht. Sie versammeln sich unter dem Titel „Soziale“ oder „Soziale Solidarische Ökonomie“.

Amsterdam und Brüssel sind weiter

Andere europäische Metropolen sind da allerdings schon etwas weiter. In den Niederlanden verfolgt Amsterdam das erklärte Ziel, Vorreiter einer „Impact Economy“ zu werden, und hat seit 2015 sukzessive die städtische Förderinitiative Amsterdam Impact aufgebaut. Dabei geht es um die Stärkung des „Ökosystems“ aller Unternehmen, die dem Feld „Social Entrepreneurship“ zugeordnet werden können. Eine ähnliche Stoßrichtung hat das Projekt CoopCity der Belgischen Hauptstadt Brüssel. In Zusammenarbeit mit sieben Partnerorganisationen hat die Stadt Brüssel seit 2016 – EU-finanziert – ein Programm zur Förderung der Gründung, Entwicklung und Kooperation sozialer Unternehmen eingeführt.

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Labor für nachhaltige Ressourcennutzung: Haus der Materialisierung, Alexanderplatz.

Um da mitzuhalten und sogar ein eigenes Profil als internationale Vorreiterstadt zu entwickeln, könnte Berlin stärker auf das Leitbild des nachhaltigen Wirtschaftens setzen. Ein entsprechendes Förderprogramm sollte dabei die Vielfalt alternativer Wirtschaftsformen für eine sozialökologische Transformation in den Blick nehmen. Das schließt neben klassischen Instrumenten der Wirtschaftsförderung das bewusste Ermöglichen von Freiräumen, Spielwiesen und Experimentierfeldern auch für radikalere Alternativen ein – so die Idee eines städtischen Reallabors für die sozialökologische Transformation, wie es mit der Initiative Transformation Haus und Feld aus der städtischen Zivilgesellschaft für das Tempelhofer Feld vorgeschlagen wird. Bedeutsam wäre die Schaffung einer flächendeckenden, vernetzten Infrastruktur für alternative, zirkuläre Wirtschafts- und Konsumformen (Reparatur, Re-Use oder Upgrading) in den Kiezen und einwohnernah in Kaufhäusern, Märkten, Bibliotheken, Sportstätten und Schulen. Um Berlin zu einer Circular City zu etablieren, müssen die bestehenden Nischen in den Mainstream gelangen, indem Nachfrage und Angebot stärker miteinander synchronisiert werden.

Programmtipps

2. NOV 10.30, hybrid, Deutsch
Wissen. Wandel. Berlin. 2021
ORGANISER
Ecornet Berlin

5. NOV 19.00, In Person, Deutsch
Kreislaufwirtschaft denken und umsetzen – innovative Beispiele aus der Schweiz
ORGANISER
Schweizerische Botschaft

6. NOV 10.00, hybrid, Deutsch
Decision Theatre – Diskussionsforum: Wege zur nachhaltigen Mobilität
ORGANISER
Cluster of Excellence – MATH + Forschungszentrum der Berliner Mathematik

7. NOV 11.00, digital, Deutsch
„Zero Waste“ – Stahl produzieren ganz ohne Abfälle?
ORGANISER
Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung

10. NOV 18.00, digital, Deutsch
Grüne Finanzierung: Unter welchen Rahmenbedingungen funktioniert sie?
ORGANISER
ESMT Berlin, Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH)

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Dr. Christian Lautermann ist Leiter des Forschungsfeldes Unternehmensführung und Konsum am Institut für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW). Seine Arbeitsschwerpunkte umfassen Nachhaltigkeitsmanagement, Social/ Sustainable Entrepreneurship, Unternehmensverantwortung und alternative Wirtschaftsweisen.

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Dr. Siegfried Behrendt ist Diplom-Politologe und Diplom-Biologe. Seit 1990 arbeitet er am Institut für Zukunftsstudien und Technologiebewertung (IZT), seit 2014 als Forschungsleiter für den Bereich Technologie und Innovation. Er fokussiert dabei auf Früherkennung, Analyse und Integration von Risiken in Innovationsprozessen sowie auf die Gestaltung von Transformationsprozessen.