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Text Wolfgang Richter
Es bedurfte erst einer Pandemie, damit Deutschland den Fuß in die Tür bekommt. Die wäre sonst zugeschlagen und wir hätten bei der Entwicklung von Quantencomputern Großkonzernen wie IBM und Google das Feld überlassen.
Mit zwei Milliarden Euro aus dem Coronaprogramm der Bundesregierung sollen jetzt aber die Quantentechnologien gefördert werden, das ist mehr als doppelt so viel wie die im vorletzten Jahr zugesagten 650 Millionen.
Quantencomputer sind neuartige Rechner, die nicht mit den herkömmlichen Bits 0 und 1 arbeiten, sondern mit Qubits. Sie stellen eine quantenmechanische Mischung aus 0 und 1 dar und ermöglichen so wesentlich schnellere Berechnungen – zumindest in der Theorie, denn noch gibt es nur erste Prototypen. Quantencomputer sind auch nur einer von drei Bereichen der Quantentechnologien. Neben ihnen gibt es noch Quantensensoren, etwa für genaue Messungen von Magnetfeldern in der Medizin, und die Quantenkommunikation, bei der mithilfe von Quanteneffekten verschlüsselte Informationen ausgetauscht werden. Wie viel der zwei Milliarden nun für die Quantencomputer zur Verfügung stehen, wird sich wohl erst Anfang des kommenden Jahres erweisen; es dürfte aber ein nicht unerheblicher Teil sein. Denn bereits Ende Januar verkündete Forschungsministerin Anja Karliczek, dass sie gern 300 Millionen Euro zusätzlich nur für die Entwicklung deutscher Quantenrechner zur Verfügung stellen würde.
Offensichtlich war die Ministerin aufgeschreckt worden durch die Meldung von Google im letzten Herbst, dass deren Quantencomputer „Sycamore“ eine Aufgabe in ein paar Minuten lösen konnte, für die der beste klassische Supercomputer 10.000 Jahre gebraucht hätte. Die Aufgabe selber war zwar ohne Anwendungsbezug und bewusst unfair für den klassischen Computer gewählt. Trotzdem sorgte diese von den Forschern lang ersehnte „Quantum Supremacy“ weltweit für Furore, die erste Überlegenheitsdemonstration eines Quantencomputers gegenüber einem herkömmlichen Rechner.
Jetzt wird also Deutschland eine Summe ins Quantencomputing investieren, die zumindest von der Größenordnung her an das herankommen dürfte, was die großen US-amerikanischen Firmen aufwenden. Eng verzahnt werden soll diese Förderung mit dem „Quantum Flagship“-Programm der EU, das 2018 gestartet wurde und innerhalb von zehn Jahren eine Milliarde Euro in die Quantentechnologien investieren wird. So weit, so gut. Vergeigen könnten wir es trotzdem noch.
Ein zentrales Anliegen der Initiative des Forschungsministeriums ist nach eigener Aussage die Zusammenarbeit mit künftigen Nutzern der Technik. Genau in diesem Fokus auf die Interessen der Industrie liegt jedoch, kurioserweise, die große Gefahr. „Welche Route ist für einen Paketboten die schnellste, auch dann, wenn sich die Verkehrslage ständig ändert?“ Diese Aufgabe nennt eine Mitteilung des Ministeriums an erster Stelle in einer Aufzählung der Probleme, die ein Quantencomputer lösen könnte. Und Peter Leibinger, Technologievorstand beim Werkzeugmaschinen-Hersteller Trumpf, erzählte auf einer Pressekonferenz mit Anja Karliczek davon, wie Quantenintelligenz helfen könnte, Bleche auf optimale Art zu fertigen. Der Flugzeugbauer Airbus legt Wettbewerbe auf, bei denen sich Teams von Quanteninformatikern an teilweise komplexen Problemen der Luftfahrttechnik versuchen sollen.
All diese Aufgaben haben allerdings eines gemeinsam: Sie lassen sich entweder genauso schnell mit einem klassischen Computer lösen – oder manchmal eben noch gar nicht, also auch nicht mit einem der bereits existierenden Quantenrechner. Die Quantum-Supremacy-Aufgabe von Google bildet hier die einzige exotische Ausnahme. Tommaso Calarco vom Forschungszentrum Jülich, einer der Initiatoren der Quantum-Flagship-Initiative der EU, warnte denn auch auf der letzten Quantencomputer-Konferenz in den USA vor einem gefährlichen Hype. Was, wenn die hochgesteckten Erwartungen der CEOs auf eine schnelle Lösung von praktischen Problemen enttäuscht werden?
Wellencharakter und Wahrscheinlichkeit
Dabei ist der Quantencomputer das Tor, um uns die Merkwürdigkeiten der Quantenwelt und damit letztlich die Grundlagen der modernen Technik in einer völlig neuen Art zu erschließen. Um das zu verstehen, muss man zwei Phänomene näher betrachten: den Wellencharakter der Materie und die fundamentale Bedeutung der Wahrscheinlichkeit im Mikrokosmos.
Werfen Sie zwei Steine in einen Teich. Die kreisrunden Wellen laufen ineinander und bilden ein komplexes Muster, weil sie sich gegenseitig mal abschwächen und mal verstärken. Schießt man Elektronen auf eine Wand mit zwei eng benachbarten Löchern und stellt dahinter eine Kamera für Elektronen auf, ergibt sich auf deren Bildschirm genau das gleiche Muster. Dies zeigt, dass auch Teilchen Welleneigenschaften haben. Wirklich erstaunlich ist aber: Das Muster ergibt sich mit der Zeit auch, wenn man die Elektronen nacheinander, einzeln auf die Löcher schießt. Doch für die Entstehung des Musters sind ja immer zwei kreisrunde Wellen notwendig. Hat sich also jedes Elektron aufgeteilt und ist mit je einer Hälfte durch beide Löcher geflogen? Das ist physikalisch unmöglich. Die Lösung sehen die meisten Physiker in sogenannten Wahrscheinlichkeitswellen, die jedem Quantenobjekt (wie etwa Elektronen) zugeordnet werden können. Wobei nicht klar ist, ob es sie wirklich gibt oder sie nur ein mathematisches Konstrukt sind. So oder so: Grob gesprochen gibt die Höhe dieser Wellen die Wahrscheinlichkeit an, das Teilchen an einem bestimmten Ort zu finden. Die Wahrscheinlichkeit für jedes Loch beträgt nun 50 Prozent, dass das Elektron dort hindurchgeht. Die Wahrscheinlichkeitswelle des Elektrons teilt sich also vor den Löchern in zwei Teilwellen. Durch jedes Loch geht eine Teilwelle mit einer Höhe von „50 Prozent“, und dahinter überlagern sich beide wie bei den zwei Steinen im Teich.
Die Essenz des Quantencomputers
Was hat das nun mit Quantencomputern zu tun? Deren Recheneinheiten bestehen oft aus kleinen Ringen, die bei Temperaturen kurz über dem absoluten Temperaturnullpunkt von minus 273 Grad Celsius ihren elektrischen Widerstand verlieren und damit zu Quantenobjekten werden. Führt man so einem Ring nun eine Energieportion mithilfe von Licht zu, kann er von einem niedrigen Energiezustand in einen höheren wechseln. Die Forscher definieren nun den niedrigen Energiezustand als 0 und den höheren als 1. Um ganz sicherzugehen, dass ein Ring tatsächlich von 0 auf 1 wechselt, müssten die Forscher das Licht allerdings eine bestimmte Zeit lang einstrahlen. Das tun sie aber nicht. Sie strahlen das Licht nur die Hälfte dieser Zeit ein. Was passiert dann? Jeder Laie würde wohl sagen, dass dann eben in 50 Prozent solcher Fälle ein Wechsel stattfindet, in der anderen Hälfte der Fälle nicht. Jedoch – das hier ist Quantenland.
Tatsächlich geschieht genau das Gleiche wie beim Experiment mit den Elektronen: Es bildet sich je eine Wahrscheinlichkeitswelle für 0 und 1 mit einer Höhe von „50 Prozent“. Und da die Forscher viele Ringe benutzen (Sycamore von Google etwa hat 53), können sich viele solcher Wellen überlagern. Und indem sie die Einstrahlungszeiten unterschiedlich wählen, können die Forscher verschiedene Anteile von 0 und 1 für jeden Ring festlegen und damit unterschiedliche Höhen der Wellen.
Und wenn sie die Ringe dann auch noch so koppeln, dass sich ihre Energiezustände gegenseitig beeinflussen – dann können sie eine Rechnung durchführen und aus dem sich ergebenden Überlagerungsmuster eine Lösung ablesen. Um das Muster zu erhalten, müssen sie die Rechnung nur oft genug wiederholen und jeweils die Energiezustände der Ringe messen.
Das ist die Essenz eines Quantencomputers. Er ist kein Parallelrechner, der einfach alles ganz schnell auf einmal kalkuliert. Durch geschickte Wahl der Rechenalgorithmen kann er tatsächlich auch Optimierungsaufgaben lösen, wie etwa eine schnelle Wegstrecke für Busse in Lissabon finden.
Doch vor allem ist er ein Wesen aus der Quantenwelt und damit prädestiniert, genau diese zu berechnen. Und Quantenphysik steckt in allen Dingen, die wirklich revolutionär sind: komplexe Biomoleküle für neue Medikamente und Impfstoffe, Supraleiter, die Strom ohne Widerstand transportieren, Katalysatormaterialien, die in Zukunft das CO2 aus der Atmosphäre holen. Nach Schätzungen der Forscher dauert es bis dahin noch zehn Jahre. Lassen wir ihnen die Zeit und tun nicht so, als ob Quantencomputer schon morgen unsere Autos fernsteuern könnten.