Gläserne Paläste, fliegende Autos zwischen futuristischen Türmen, grüne Terrassen und Plattformen über Seen und dem Meer – das waren frühe Utopien über die Städte der Zukunft.
Text Michael Odenwald
Auch heute wird über das künftige urbane Leben debattiert. Allerdings erscheinen die aktuellen Entwürfe profaner, denn sie rücken anstelle megalomanischer Technologien den Menschen und die Lebensqualität in den Mittelpunkt. Als Leitbild gilt die Symbiose von Technik und Natur. Das heißt: Die Stadt von morgen ist dank umweltschonender Mobilität lärmarm, grün, kompakt und durchmischt. Ihre Energie bezieht sie ausschließlich aus regenerativen Quellen.
Tatsächlich steuern wir einem „Jahrtausend der Städte“ entgegen. Zum ersten Mal in der Geschichte lebt in diesem Jahrhundert mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung in Metropolen. Für 2050 wird der Anteil bereits auf 70 bis 75 Prozent prognostiziert, was die infrastrukturelle, ökologische und ökonomische Entwicklung der Städte zu einer gewaltigen Aufgabe macht. Bestimmende Faktoren dabei sind die Digitalisierung fast aller Lebensbereiche, Klimawandel, Migration und der demografische Umbruch. Sie verändern Leben und Erscheinungsbild unserer Städte. Wichtigster Trend ist die vernetzte Stadt. Sie weiß durch Sensoren in Fahrzeugen, Verkehrskameras, Maschinen, Ampeln oder Laternen über alle Vorgänge Bescheid. Die Analyse hilft Planern, Architekten und Investoren bei ihren Projekten. Sie erfahren, wo sich die Menschen gern aufhalten und welche Räume sie meiden. Zudem erkennen sie, wo etwa eine verkehrsberuhigte Zone hinmüsste. Die Luftqualität wird konstant gemessen, Mülleimer nur geleert, wenn sie signalisieren, dass sie voll sind. Von überragender Bedeutung ist angesichts der fortschreitenden Erderwärmung die Verbesserung des Stadtklimas. Es gilt, das Aufheizen von Böden oder Gebäuden durch die Sonne zu mildern. Dies lässt sich am besten durch Oberflächen erreichen, die mehr Sonnenlicht reflektieren, statt es zu absorbieren. Eine Möglichkeit ist, die Häuser weiß zu streichen, wie es traditionell im Mittelmeerraum geschieht. Überdies können farbige Straßenbeläge die städtischen Betonwüsten sommers kühlen, die 30 bis 50 Prozent der Sonnenenergie abgeben, statt fünf Prozent wie beim heutigen Asphalt.
Idealerweise werden die Häuser dank in Dächer und Fassaden integrierter Sonnenzellen energieautark oder erzeugen sogar mehr Energie, als sie verbrauchen. Innovative Batteriesysteme speichern überschüssige Solarenergie und machen sie nachts oder an bewölkten Tagen verfügbar. Insgesamt ist eine dezentrale Energieversorgung mit lokalen regenerativen Quellen wie Wind-, Solar-, Wasser- und Biogaskraftwerken ein tragendes Element der Stadt von morgen. Sie geht mit intelligenten Stromnetzen sowie Mess- und Abrechnungssystemen einher.
In den Metropolen werden Grünflächen als Frischluftschneisen angelegt. Überdies könnten Brunnen und Wasserspender die Hitze im Alltag mindern. In Karlsruhe etwa wurden bereits 200 Brunnen installiert. Weiter muss dort jedes Flachdach mit Pflanzen begrünt werden. „Im Wohnviertel Südstadt-Ost sind die Dächer von 5.000 Bürgern begrünt”, sagte Klaus Weindel vom Gartenbauamt der Fächerstadt gegenüber der „Deutschen Welle“. „Das hält Niederschläge zurück, bringt Verdunstung und ist für das Stadtklima förderlich.“ An Gebäuden kann die Vegetation indes nicht nur horizontal wachsen, sondern auch vertikal, nämlich an „Grünen Fassaden“. Deren Vorkämpfer ist der französische Botaniker Patrick Blanc, der mit einem speziellen Verfahren weltweit lebende Wände schuf, unter anderem 2012 im Kulturkaufhaus Dussmann in Berlin. Die begrünte und berieselte Tropenlandschaft dort ist 270 Quadratmeter groß und besteht aus über 6600 Pflanzen.
Ein weiterer Aspekt ist urbanes Gärtnern. Es bringt Oasen der Ruhe auf innerstädtischen Brachflächen und Dächern hervor. Diese seien aber nicht nur Erholungsräume, sondern würden zunehmend wichtig, um „sozialen Stress abzubauen und mit der Nachbarschaft in Kontakt zu treten“, konstatiert das Frankfurter Zukunftsinstitut. Wo richtige Gärten fehlen, treten Indoor-Gärten an ihre Stelle. „Der Trend zum Indoor-Gardening verbreitet sich rasant, und immer intelligentere Systeme ermöglichen sogar den Gemüseanbau in den eigenen vier Wänden“, so das Zukunftsinstitut. In den Stadtvierteln wiederum sind automatisch betriebene und vernetzte Ackerflächen, Fischteiche und Gemüsebeete in die Gebäude von Supermärkten, Restaurants, Serverfarmen oder Firmen integriert. Ein Großteil der Nahrung wird so lokal erzeugt, ohne energieintensiven Transport.
In größerem Maß bieten neugeschaffene Stadtlandschaften vielfältige Möglichkeiten für Freizeit und Erholung. Ein Beispiel ist der „Highline Park“ in New York. Aus einer ehemaligen Hochbahntrasse wurde ein vibrierender Treffpunkt der Stadt. Die Einwohner nutzen die 2,3 Kilometer lange Anlage nicht nur zum flanieren, sondern bauen die zahlreichen Treppen auch in ihr Fitnessprogramm ein.
Heute Straße – übermorgen Park
Verkehr und Logistik werden neu organisiert. Künftig wird es viele kleinere Haushalte geben, entsprechend sinken die Liefermengen, dafür steigt die Lieferfrequenz. Deshalb kommen statt immer schlechter ausgelastete Lkw kleine, selbstfahrende Paketautos und Lieferdrohnen zum Einsatz. Daneben treten Lastenräder oder Elektrodreiräder mit Ladefläche für den Transport von Waren für Läden und Restaurants. Autos stehen im Haus der Zukunft kaum mehr in der Garage, die Menschen betrachten sie vielmehr als Gemeingut. Das Carsharing nimmt weiter zu, vielfach werden Privatwagen auch vermietet. Ihre effizientere Nutzung schafft in den Städten entsprechend mehr Platz. Ein Vorreiter ist das Berliner Start-up Getaway, das von ihren Besitzern freigegebene Pkw per App an andere Fahrer vermittelt. Zurzeit gibt es rund 5000 Nutzer und knapp 150 registrierte Autos in Berlin und in einer Region bei Nürnberg.
Zugleich nimmt die Automatisierung der Fahrzeuge zu. Sie bremsen etwa vor Schulen von selbst und kommunizieren miteinander, aber auch mit Leitsystemen, die den Verkehr in Echtzeit regeln. Es gibt keine Staus mehr, heutige Straßen werden morgen Parks sein. Robotaxis holen ihre Passagiere vor der Haustür ab, und insgesamt wird durch diese Entwicklung der Verkehr drastisch reduziert. Immerhin könnte hier eine der früheren Visionen doch noch Realität werden: Volocopter sowie andere Elektrohubschrauber kreuzen als Lufttaxis durch die Metropolen. Dann gäbe es tatsächlich urbane Luftstraßen mit „fliegenden Autos“.